Print this page

Deutsch-amerikanischer Schüleraustausch 1980 – 1990

Read 3894 times Zuletzt geändert am Sonntag, 24 Januar 2021 12:44
Written by 
Rate this item
(1 Vote)

Die Idee zu einen Schüleraustausch mit der amerikanischen Schule kam mir auf der Autobahnraststätte Bruchsal 1980. Wir hatten auf dem Heimweg von einer Urlaubsreise dort einen Stopp eingelegt. Ich beobachtete einen Mann, der mit einer Schar Kindern ins Lokal kam und immer wieder Leute vom Personal fragte: „Do you take American Dollars?“ Da er überall auf Unverständnis traf, beschloss ich mich einzumischen und übersetzte für ihn. Es stellte sich heraus, dass er Lehrer an der Maryland School in Paul Revere Village in Karlsruhe und mit Schülern unterwegs war. Sie wollten etwas zu Trinken kaufen und keiner hatte D-Mark dabei.

Mir wurde bewusst, dass diese Kinder nahe bei uns in unserer Stadt lebten aber eben nicht mit uns. Der Lehrer hatte sich mit ihnen „hinaus gewagt“ in die deutsche Welt und war an den Sprachschwierigkeiten gescheitert. Als Englisch-Lehrerin an der Hauptschule in Eggenstein gab mir das zu denken. Meine eigenen Schüler lernten zwar Englisch hatten aber keine Ahnung vom Leben ihrer amerikanischen Nachbarn und deren Kindern. Ich wollte das ändern.

 

Ein Schüleraustausch mit der amerikanischen Maryland School würde den Horizont der deutschen und den der amerikanischen Kindern, die meist jahrelang in Deutschland lebten, erweitern. Meine Schüler könnten ihre englischen Sprachkenntnisse erweitern und ausprobieren und die amerikanischen Kinder würden Einblicke ins Leben der Deutschen rund um sie herum bekommen.

 

Als ich meine Idee dem damaligen Schulleiter der Hauptschule in Eggenstein, Herrn Gerwien, vortrug, rief der spontan: „Was, den amerikanischen Wilden Westen wollen sie in unsere Schule holen!“ Ich konnte ihn aber bald von den Vorteilen für unsere Schüler überzeugen und er erlaubte mir einen Versuch zu starten.

 

Mit dem Schulleiter der amerikanischen Schule, Dr. Mossinger, gab es weniger Probleme. Er war sehr überrascht als ich ihm meinen Vorschlag vortrug, meinte aber dann, dass er nichts dagegen hätte wenn ich einen seiner Kollegen fände, der mitmachen wollte. Ich fand Frau Zink, die in der 5. Klasse der Elementary School „deutsche Landeskunde“ in englischer Sprache unterrichtete. Sie wohnte in der Erzberger Straße und wir trafen uns bei ihr und bei mir abwechselnd um ein Konzept für die Partnerschaft auszuarbeiten. Wir beschlossen jedem Fünftklässler in ihrer und meiner Schule einen Partner zuzuteilen und uns einmal im Monat abwechselnd im Paul Revere Village und in der HS in Eggenstein zu treffen. Die Amerikaner stellen uns einen ihrer Armeebusse mit Fahrer zur Verfügung. Die Eltern der Kinder wurden informiert und waren begeistert von der Idee – vor allem die deutschen. Die amerikanischen waren etwas skeptisch, wie ich später erfuhr.

 

Als ich zum ersten Treffen mit meinen Schülern bei der Maryland vorfuhr hingen ältere Schüler oben aus den Fenstern und riefen „The huns are coming!“ Ich übersetzte das meinen Schülern nicht. Als die Amerikaner das erste Mal in der HS in Eggenstein zu Besuch kamen, hielt mein Schulleiter, Herr Gerwien, einen kleinen Begrüßungsvortrag auf englisch . Am Ende fragte er die Kinder „Do you have any questions?“ Da fragte eines der kleinen Mädchen „And who are you?“ Herr Gerwien war verlegen aber wir alle lachten und das Eis war gebrochen.

 

Von nun an trafen wir uns einmal im Monat für einen Vormittag abwechselnd in der Erzberger Str. und in Eggenstein zu gemeinsamen Aktivitäten. Jedes Kind musste sich um seinen Partner jeweils hier oder dort kümmern. Wir bastelten und spielten zusammen. Bald beteiligten sich auch die Sportlehrer an beiden Schulen. Die Amerikaner schenken uns einen ausgedienten Fallschirm und zeigten uns wie man ihn zum Spielen einsetzten konnte. Wir unternahmen gemeinsame Ausflüge zum Beispiel in den Wald. Die Amerikaner stellten uns immer ihre Busse zur Verfügung, was natürlich eine große Erleichterung war. Frau Zink war eine großartige Lehrerin, deren pädagogischen Fähigkeiten ich sehr bewunderte und viel von ihr lernte. Mit ihrem hochgesteckten Haar und den langen Röcken sah sie aus „wie eine Königin“ wie eines der Kinder meinte.

 

Am Nikolaustag fuhr ich immer mit den Klassensprechern zur Maryland School und brachte Dambedeis zu unseren Partner-Kindern, was diese ja so nicht kannten. Thanksgiving wurden wir zum Grillen eingeladen und waren Zuschauer bei der alljährlichen Theateraufführung der Schule. Bei den Amerikanern lernte ich „Schulprojekte“ kennen, die es zu dieser Zeit an unseren Schulen so noch nicht gab. Ich fand es wunderbar wie die ganze Schule mit Lehrern und Eltern zusammen über Monate begeistert an einem Projekt arbeiteten und ein Theaterstück einübten, das allen große Freude bereitete. Ich versuchte das auch in meiner Schule einzuführen, leider ohne Erfolg. Mir wurde immer wieder erklärt „für so etwas gäbe es keine Schulstunden“. Auch unsere Eltern zeigten sich wenig begeistert von der Idee wochenlang in der Schule mitzuarbeiten.

 

Im zweiten Jahr dieses Schulaustausches beschlossen Frau Zink und ich das Programm zu erweitern. Die Kinder sollten ihre Partner in der Mittagspause mit nach Hause nehmen, mit ihnen zu Mittag essen, die jeweilige Familie kennenlernen und ihnen ein bisschen zeigen wie sie lebten. Dazu mussten wir natürlich die Eltern einschalten. Wieder war es problemlos mit den deutschen. Vor allem die Mütter waren zu dieser Zeit oft nicht berufstätig und somit zu Hause, wenn die Kinder mittags von der Schule kamen. Die warme Hauptmahlzeit des Tages wurde also mittags serviert.

 

Bei den Amerikanern war das schon etwas anders. Väter wie Mütter waren meist Armeeangehörige und kamen erst am Abend nach Hause. Die Kinder aßen mittags einen „lunch“ in der Schule, meist "sandwiches" und Obst. Einige, die in der Erzbergerstraße wohnten, gingen aber auch nach Hause, wenn jemand von den Eltern da sein konnte. Es stellte sich heraus, dass unsere deutschen Kinder eher neugierig und vorbehaltlos waren. Bei den amerikanischen Schülern gab es mehr Bedenken. Zwei von ihnen weinten sogar beim ersten Mal und weigerten sich vehement zu den Deutschen nach Hause zu gehen. Nur Frau Zinks und mein Versprechen in der Schule zu bleiben und dass ihr deutscher Partner sie jeder Zeit dahin zurück bringen würde, bewegte sie dazu mit zu gehen. Aber alle kamen nach zwei Stunden strahlend zur Schule zurück und es gab nie wieder Schwierigkeiten oder Bedenken.

 

Nach und nach waren auch einige meiner Kollegen bereit sich an dem Projekt zu beteiligen, auch wenn sie nicht so gut englisch sprechen konnten und sich anfangs der Herausforderung sich den ganzen Vormittag mit rund 50 Kindern zweisprachig zu beschäftigen nicht gewachsen fühlten. Aber Frau Zink und ich waren immer dabei. Ich denke unsere Schüler haben sehr davon profitiert. Sie waren motivierter Englisch zu lernen und hatten Spass daran ihre Kenntnisse anzuwenden. Sie nahmen mit Verwunderung wahr, das es neben ihrer Welt ganz in der Nähe eine amerikanisch geprägte gab. In Paul Revere Village gab es eigene Geschäfte, Schulen und Kirchen. Bezahlt wurde in Dollar, gesprochen wurde englisch. Die amerikanischen Eltern überwanden ihre Vorbehalte schnell. Mich beeindruckte die Höflichkeit die in der Schule üblich war. So hielten sich die Kinder gegenseitig und den Erwachsenen die Türen selbstverständlich auf und grüßten alle freundlich, wenn sie durch die Gänge eilten. Alle Lehrer und der Schulleiter sprachen sich mit Vornamen an, was wie sich herausstellte, täuschen kann. Einmal verspäteten wir uns bei einem Ausflug. Zu meiner Überraschung wurde ich gebeten mit Dr. Mossinger zu sprechen und unser Unpünktlichkeit zu entschuldigen. Meine amerikanischen Kollegen fürchteten Repressalien und Kritik, obwohl sie ihren Rektor mit „Joe“ ansprachen. Ich habe unseren Schulleiter nie geduzt und mit Vornahmen angesprochen, aber ich konnte jederzeit mit ihm reden und hatte keinerlei Problem in einer Situation wie dieser.

 

1990 mussten wir das Projekt beenden. Dr. Mossinger kehrte nach Amerika zurück und sein Nachfolger und die „administration“ mussten erst geklärt werden, wie man mir versicherte. Dann fiel die Mauer und alle Amerikaner verließen das Paul Revere Village nach einem großen Abschiedsfest bei dem übrigens eine große Pappmauer symbolisch niedergerissen wurde.

 

Birgit Rettig-Berta

(Englisch-Lehrerin an der Hauptschule Eggenstein)